lexfree: Viele Dienstleister:innen stellen Tages- oder Stundensätze in Rechnung. Machen sie alle etwas falsch?
Maik Pfingsten: Sie machen nichts falsch. Sie machen etwas, was unter uns Selbstständigen weit verbreitet ist. Viele von uns kommen aus einer Anstellung, in der wir ein monatliches Gehalt für eine bestimmte Stundenanzahl erhalten haben. Unsere Kund:innen sind oft auch angestellt und kennen es nicht anders. Da ist es naheliegend, Zeit gegen Geld zu tauschen. So war es auch bei mir im Jahr 2005, als ich mich selbstständig gemacht habe.
lexfree: Warum stehen Sie diesem Modell heute kritisch gegenüber?
Maik Pfingsten: Egal, ob mein Stundensatz bei 75 oder 300 Euro liegt: Ich kann nur eine begrenzte Stundenanzahl an Kund:innen verkaufen. Ich war früher „Troubleshooter“. Als externer Projektmanager war ich hoch spezialisiert darauf, lichterloh brennende Entwicklungsprojekte in Unternehmen aus der Automobilindustrie zu übernehmen und wieder aufs Gleis zu setzen. Der Anschlag lag damals bei 120 verkaufbaren Stunden pro Monat. Hinzu kamen aber noch viele Reisen, Buchhaltung, Marketing. Irgendwann war ich an meinem Zeitlimit. Das tut weh, ist aber erst einmal nicht der größte Schmerz. Was mir recht schnell klar geworden ist: Ich bin gut, in dem was ich tue, und das heißt auch: sehr schnell. Das ist aber von Nachteil, wenn ich auf Stundenbasis abrechne. Ich habe mir ins Knie geschossen mit dem Konzept. Aber ich kannte damals keine andere Lösung.
lexfree: Die andere Lösung haben Sie dann aber gesucht und gefunden ...
Maik Pfingsten: Ich war 2010 so frustriert, dass ich dachte: Das muss doch anders gehen. Ich hatte ein Ingenieurbüro mit 15 Mitarbeitenden aufgebaut und merkte, dass es das nicht ist. Ich bin ausgestiegen und habe solo weitergemacht. Zu der Zeit dachte ich mir: Ich muss meine Ingenieurdienstleistung doch über das Internet ausliefern können. In Deutschland konnte mir keiner erklären, wie ich das umsetzen könnte und dann habe ich geschaut, was die Amerikaner machen. Dort habe ich einige Online-Unternehmer:innen gefunden, die sehr erfolgreich waren, aber sie hatten nur Erfahrung im B2C-Bereich. Ich hatte aber Geschäftskund:innen aus dem Maschinenbau. Und dann bin ich auf die Reise gegangen und habe es selbst ausprobiert.
lexfree: Sie nennen das Konzept „Productized Service“. Was verbirgt sich dahinter?
Maik Pfingsten: Über den Begriff bin ich 2015 im Silicon Valley gestolpert. Damit ist gemeint, dass eine Dienstleistung standardisiert wird. Mit unserem meisterlichen Wissen legen wir für unsere Aufträge einen bestimmten Prozess fest. Wenn wir ihn durchlaufen, kommt am Ende ein hochqualitatives Ergebnis heraus. Etwas weiter gefasst ist ein „Productized Service“ für Solo-Selbstständige und vor allem für Freiberufler:innen ein digitales Geschäftsmodell. So wird die Zusammenarbeit mit Kund:innen viel einfacher, vom Erstgespräch per Zoom über Online-Workshops bis hin zur digitalen Auslieferung.
lexfree: Wie sieht solch ein Productized Service konkret aus?
Maik Pfingsten: Wir haben drei aufeinander aufbauende Prozesse. Am Anfang steht der Sales-Prozess, von der Kundenanfrage bis zum Auftrag. Dabei filtern wir, sodass die richtigen Kund:innen in den Laden kommen. Dazu gehört, die eigenen Spielregeln klar zu kommunizieren. Der zweite Teil ist die Dienstleistung selbst, bei der wir dank eines klar definierten Prozesses ein ausgezeichnetes Ergebnis erzielen. Abschließend folgen After-Sales. Wir überlegen uns also: Was ist außer dem Stellen der Rechnung noch sinnvoll?
lexfree: Wie können Solo-Selbstständige so einen Service aufbauen?
Maik Pfingsten: Im ersten Schritt reduzieren wir. Wir finden heraus, welches unserer Dienstleistungsangebote in unserem bunten Blumenstrauß profitabel ist. Wichtig ist auch: Ist es eine Dienstleistung, die ich gerne tue? Im Anschluss geht es ans Fokussieren. Wir machen uns klar: Wer ist mein idealer Kunde, meine ideale Kundin? Wenn wir diesen Teil erledigt haben, gehen wir ans Systematisieren. Wir denken darüber nach, wie unser Sales-, Service- und After-Sales-Prozess aussieht. Der letzte Schritt ist das Skalieren. Viele denken, das funktioniert über Angestellte. Ja, das ist legitim. Aber gerade wir, die als Solo-Show unterwegs sind, wollen das nicht unbedingt. Wir können über den Preis skalieren und uns mit unserer Premium-Dienstleistung vom Markt absetzen. Es gibt immer Kund:innen, die hochpreisige Dienstleistungen kaufen, weil sie Wert auf Qualität legen.
lexfree: Wie wirkte sich Ihr eigener Productized Service auf Ihr Business aus?
Maik Pfingsten: Mein Productized Service bestand darin, Lastenhefte zu erstellen. Ich habe maximal zehn Aufträge pro Jahr angenommen. Für eines habe ich 12.500 Euro genommen. Mal 10 gerechnet sind wir bei 125.000 Euro Jahresumsatz ohne Kostenapparat, weil ich komplett virtuell arbeitete. Damit kann man eine fünfköpfige Familie gut übers Jahr bringen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Meine Kund:innen interessierte nicht mehr, wie viele Stunden ich für ein Lastenheft brauchte. Ich habe meinen Prozess so optimiert, dass ich nicht mehr 80 Stunden für ein Lastenheft benötigte, sondern 30 Stunden. Mal zehn sind 300 Stunden Arbeit pro Jahr. Das sind über den groben Daumen gepeilt zwei Monate. Sprich: Ich hatte zehn Monate frei bei 125.000 Euro Jahresumsatz. Das war das, was ich wollte. Wir haben am Ende die Freiheit zu entscheiden, wie viel wir arbeiten, mit wem und was uns erfüllt. Wir dürfen gut sein und es ist gut für uns, für unsere Zeit und auch für unsere finanzielle Situation.
lexfree: Wie sieht Ihr Leben heute im Vergleich zu früher aus?
Maik Pfingsten: Meine Lebensqualität hat sich unglaublich verbessert. Früher bin ich montagmorgens ins Auto, in den ICE oder den Flieger gesprungen, bin durch die Republik oder Europa gedüst und freitagabends wieder nach Hause gekommen. Ich war eigentlich fertig und dann warteten dort drei Kinder und wollten Zeit mit ihrem Papa verbringen. Wenn heute meine Tochter anruft und sagt, sie habe den Schulbus verpasst, setze ich mich ins Auto und fahre hin. Diese zeitliche Freiheit bekommt man nie beim Tausch von Zeit gegen Geld. Das geht nur mit einem Productized Service.
Zu guter Letzt: Die wichtigsten Fragen und Antworten aus dem Interview zusammengefasst
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